Am 13. Februar 2022 stimmen wir über die Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung» ab, die ein konsequentes Verbot von Werbung für Tabakprodukte, welche Kinder und Jugendliche erreicht, einfordert. Bundesrat und Parlament lehnen die Initiative mit der Behauptung ab, ein derartiges Werbeverbot stelle einen zu starken Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit dar. Begründet wird diese Behauptung nicht. Aus gutem Grund: Es gibt keine Begründung. Denn ein Werbeverbot für Tabakprodukte ist aus ökonomischer Sicht gerechtfertigt.

Ein Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit in Form eines Verbots von Werbung für Tabakprodukte ist aus ökonomischer Sicht genau dann gerechtfertigt, wenn erstens ein Marktversagen vorliegt und zweitens der Nutzen des Eingriffs höher ist als dessen Kosten (positiver Nettonutzen).

Die erste Bedingung rechtfertigt sich damit, dass der Markt zu einer effizienten Allokation der Ressourcen führt, wenn kein Marktversagen vorliegt. Die Allokationseffizienz kann durch einen staatlichen Eingriff bei Abwesenheit eines Marktversagens nicht verbessert werden, weshalb sich Regulierung grundsätzlich erübrigt.

Die zweite Bedingung stellt sicher, dass der staatliche Eingriff auch tatsächlich zu einer Verbesserung der Situation führt. Denn es gibt Situationen, in welchen zwar ein Marktversagen vorliegt, es jedoch nicht möglich ist, mittels Regulierung ein besseres Ergebnis herbeizuführen – zum Beispiel, weil die Regulierung unwirksam oder mit zu hohen Kosten verbunden ist.

Marktversagen aufgrund negativer Internalitäten

Raucher/innen verursachen Kosten, die sie nicht vollumfänglich selbst tragen. Da die externen Kosten des Tabakkonsums über die Tabaksteuer bereits internalisiert sind, können Regulierungen von Tabakprodukten, die weiter gehen als die geltende Rechtsordnung, nicht mit einem Marktversagen aufgrund negativer Externalitäten begründet werden.

Es gibt jedoch sehr starke empirische Evidenz, dass auch nach der erfolgten Internalisierung der externen Kosten ein Marktversagen besteht: Mehr als die Hälfte der Raucher/innen rauchen, obwohl sie lieber nicht rauchen würden. Sie geben also Geld für etwas aus, für das sie lieber kein Geld ausgeben würden. Sie fällen letztlich Konsumentscheide, die ihren Nutzen nicht maximieren. Ergo liegt ein Marktversagen vor.

Dieses Marktversagen ist auf die beschränkte Rationalität der Konsument/innen zurückzuführen («behavioral market failure»): Zum einen haben Konsument/innen die Tendenz, den Wert von Kosten und Nutzen, die unmittelbar in der Gegenwart anfallen, im Vergleich zum Wert der Kosten und Nutzen, die in der Zukunft anfallen, zu überschätzen («present bias»). Aus diesem Grund unterschätzen sie die Kosten des Tabakkonsums, der in der Zukunft anfällt. Zum anderen unterschätzen Konsument/innen, wie stark ihre Präferenzen in der Zukunft ändern können («projection bias»). Aus diesem Grund unterschätzen Raucher/innen den Wert, den das Nicht-Rauchen für ihr zukünftiges Ich haben wird. Die beschränkte Rationalität resultiert in sogenannt zeitinkonsistenten Präferenzen.

Konsument/innen mit zeitinkonsistenten Präferenzen konsumieren beim einem süchtig machenden Gut wie einem Tabakprodukt in der Gegenwart mehr, als es angesichts ihrer langfristigen Präferenzen optimal wäre: Damit liegt ein Marktversagen aufgrund «negativer Internalitäten» vor: Das Konsumverhalten des gegenwärtigen Ichs hat negative «externe» Effekte auf das zukünftige Ich.

Klar positiver Nettonutzen eines Tabakwerbeverbots

Im Jahr 2015 habe ich als Projektleiter beim Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien BASS eine Regulierungsfolgenabschätzung zum Entwurf eines Tabakproduktegesetzes durchgeführt, das u.a. ein Verbot von Werbung für Tabakprodukte in den klassischen Werbemedien vorsah. Dieses Tabakproduktegesetz ging weniger weit als die zur Diskussion stehende Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung». Insbesondere dahingehend, dass die Volksinitiative (vernünftigerweise) auch ein Verbot von Plakat- und Screen-Werbung am Point of Sales vorsieht, was beim damaligen Tabakproduktegesetz nicht der Fall war.

Im Rahmen dieser Regulierungsfolgenabschätzung haben wir die Kosten und den Nutzen des vorgesehenen Werbeverbots evidenzbasiert abgeschätzt. Es resultierte, dass ein solches Werbeverbot die Prävalenz bzw. die Zahl der Raucher/innen um 5.4 bis 9.9 Prozent reduzieren würde. Dadurch würden die Kosten des Tabakkonsums (direkte Kosten im Gesundheitswesen, indirekte Kosten in der Wirtschaft aufgrund von Krankheit und Tod sowie intangible Kosten) um jährlich rund 230 bis 410 Millionen Franken sinken. Darin ist der Nutzen eines Tabakwerbeverbots zu sehen.

Diesem Nutzen eines Tabakwerbeverbots stehen nur geringfügige Kosten gegenüber, die wir auf maximal 20 Millionen Franken pro Jahr bezifferten.

Den Nettonutzen (Nutzen minus Kosten) eines Verbots von Werbung für Tabakprodukte in den klassischen Werbemedien schätzten wir also auf mindestens 200 Millionen Franken pro Jahr. Dies bedeutet, dass die Gewinner eines Tabakwerbeverbots (z.B. diejenigen, die an den Folgen des Tabakkonsums frühzeitig sterben) die Verlierer eines solchen (z.B. die Aktionäre der Tabakkonzerne) für ihre Verluste vollumfänglich entschädigen könnten und nach einer derartigen Entschädigungsrunde den Gewinnern pro Jahr mindestens 200 Millionen Franken übrigbleiben würden. Damit liegt eine potentielle Pareto-Verbesserung vor.

Das Werbeverbot, das die Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung» vorsieht, ist – wie bereits erwähnt – konsequenter als das im Tabakproduktegesetz von 2015 vorgesehene Werbeverbot. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Nettonutzen der Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung» noch höher wäre als die geschätzten 210 bis 390 Millionen Franken pro Jahr, da ein konsequentes Werbeverbot die Zahl der Raucher/innen noch stärker senken würde als ein Werbeverbot, das sich auf klassische Medien beschränkt. Entsprechend würde der Nutzen noch höher ausfallen.

Ökonomisch gerechtfertigter Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit

Es liegt also ein Marktversagen vor und der Nutzen des von der Volksinitiative vorgesehenen Werbeverbots ist deutlich grösser als dessen Kosten. Es ist zu folgern, dass der Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit in Form eines Tabakwerbeverbots aus ökonomischer Sicht gerechtfertigt ist.

Daran können auch die fadenscheinigen Argumente nichts ändern, die nun von einigen bürgerlichen Politiker/innen vorgetragen werden, die sich der Tabakindustrie angedient haben und sich nicht mehr dem Gemeinwohl und der allgemeinen Wohlfahrt verpflichtet sehen.

Das Paternalismus-Argument: Anwendungsvoraussetzungen nicht erfüllt

Das Paternalismus-Argument funktioniert so: Paternalistische Regulierungen sind schlecht, weil sie den Individuen verunmöglichen, ihre nutzenmaximierende Konsummuster zu realisieren. Dies ist unter der Annahme, dass die Konsument/innen vollständig rational handeln und entsprechend nutzenmaximierende Konsumentscheide fällen, korrekt.

Das Problem ist nur, dass diese Annahme des Paternalismus-Arguments im Kontext von Gütern, die süchtig machen, schlicht nicht zutreffend ist: Konsument/innen mit zeitinkonsistenten Präferenzen realisieren eben gerade nicht nutzenmaximierende Konsummuster. Beweis: die Hälfte der Raucher/innen raucht, obwohl sie lieber nicht rauchen würden.

Da die Anwendungsvoraussetzungen des Paternalismus-Arguments im Kontext von Tabakprodukten nicht erfüllt sind, bricht das Argument komplett in sich zusammen und verliert jedwede Überzeugungskraft.

Das Dammbruch-Argument: Magisches Denken & Diskussionsverweigerung

Das Dammbruch-Argument liegt der Cervelat-Kampagne der Gegner eines Tabakwerbeverbots zugrunde: Wenn heute Werbung für Tabakprodukte verboten wird, wird morgen Werbung für Cervelats verboten. Ich gehe davon aus, dass Cervelats hier stellvertretend für Fleischprodukte stehen, die im Vergleich zu Gemüse in der Regel eine schlechtere CO2-Bilanz aufweisen. Ich bin mir dessen aber nicht sicher, da die ganze Argumentationsfigur nebulös und unpräzise ist.

Mir ist völlig unklar, aufgrund welcher Wirkungsmechanismen ein Verbot von Tabakwerbung automatisch, d.h. in quasi magischer Manier, zu einem Verbot von Fleischwerbung führen sollte? Insbesondere auch deshalb nicht, weil es im Kontext von Fleisch keine Suchtproblematik gibt. Möglicherweise gehen die Gegner eines Tabakwerbeverbots davon aus, dass die wahlberechtigten Bürger/innen intellektuell derart minderbemittelt sind, dass sie nicht den Unterschied zwischen einem süchtig machenden Gut und einem normalen Nahrungsmittel erkennen können. Ich jedenfalls halte ein Tabakwerbeverbot für gerechtfertigt, ein Verbot für Fleischwerbung hingegen nicht. Aber vielleicht ist das schon eine zu differenzierte Position.

Dammbruch-Argumente werden meistens vorgetragen, um eine Diskussion von konkreten Sachverhalten auf eine allgemeine Ebene zu verschieben: Wenn man auf der konkreten Ebene (Verbot von Tabakprodukten) keine Argumente hat, verschiebt man die Diskussion auf eine allgemeine Ebene, auf welcher Glaubenssätze zu tragen kommen („Nanny-State ist schlecht“), von welchen man glaubt, dass sie mehrheitsfähig sind. Letztendlich wird dadurch eine Case-by-Case-Diskussion verhindert, es werden nur noch allgemeine Glaubenssätze verhandelt, die Diskussion wird undifferenziert. Letztlich ist das Diskussionsverweigerung.