Eine Replik auf Ausführungen des Präsidenten der SVP Urtenen-Schönbühl Bäriswil
Seit dem 1. Januar 2021 bin ich als Gemeinderat «Soziales & Gesundheit» für die politisch-strategische Führung des Sozialdiensts und damit auch der Schulsozialarbeit verantwortlich. In der August-Ausgabe 4/2024 der Zeitschrift «ammoossee» hat sich der Präsident der SVP Urtenen-Schönbühl Bäriswil, Fritz Bernhard, in einem Beitrag in Zusammenhang mit den Gemeinderatswahlen vom November 2024 zu den Entwicklungen des Sozialdiensts Urtenen-Schönbühl geäussert. Die Ausführungen des SVP-Präsidenten kann ich so nicht stehen lassen, da sie die Leistungen, welche der Sozialdienst Urtenen-Schönbühl seit meinem Amtsantritt erbracht hat, nicht korrekt wiedergeben.
Das Wichtigste auf einen Blick
- Ich habe den Stellenetat des Sozialdiensts im Jahr 2021 deutlich ausgebaut. Zu diesem Ausbau war ich gesetzlich verpflichtet.
- Im Bereich der wirtschaftlichen Sozialhilfe hat der Ausbau des Stellenetats u.a. zu höheren Ablösequoten und zu tieferen Nettokosten pro unterstützter Person und damit zu einer wesentlichen Reduktion der Sozialhilfeausgaben geführt.
- Der Stellenetat der Schulsozialarbeit wurden seit 2016 nur geringfügig ausgebaut, in meiner Legislatur überhaupt nicht. Unter Berücksichtigung der Zunahme der Zahl der Schülerinnen und Schüler sowie der Lehrpersonen hat sogar ein geringfügiger Abbau der Ressourcenausstattung der Schulsozialarbeit stattgefunden.
- Die Schulsozialarbeit ist ein präventives Angebot und damit dem Grundsatz «Prävention vor Intervention» verpflichtet. Präventive Massnahmen sind viel günstiger als interventionelle Massnahmen, insbesondere als Massnahmen, bei welchen die KESB involviert ist. Man kann weder Geld sparen noch die Eigenverantwortung stärken, indem man die Schulsozialarbeit runter- und die KESB hochfährt.
- Das Hauptziel der Schulsozialarbeit ist die Verbesserung der Chancengleichheit. Als Sozialliberaler sind mir die Chancengleichheit und damit die Förderung sozial benachteiligter Kinder wichtig.
- Die Mitarbeitenden des Sozialdiensts haben seit meinem Amtsantritt hervorragende Arbeit geleistet und ausgezeichnete Ergebnisse erzielt. Dafür danke ich ihnen.
Einleitende Worte
Als ich am 1. Januar 2021 Gemeinderat des Departements «Gesundheit & Soziales» wurde, gab es keine Führungskennzahlen, die es mir erlaubt hätten, die Leistungen des Sozialdienstes zu beurteilen. Aus diesem Grund habe ich in einem ersten Schritt ein Controlling aufgebaut, das die wichtigsten Leistungsindikatoren erfasst, auf deren Grundlage ich die Leistungen des Sozialdiensts beurteilen kann. Zudem habe ich entschieden, dass über die Kosten und die Leistungen des Sozialdiensts künftig im Rahmen eines Jahresberichts umfassend Rechenschaft abzulegen ist. Wenn man im Sinne des Öffentlichkeitsprinzips Rechenschaft ablegen muss, steigt der Anreiz, gute Leistungen zu erbringen und Fehlentwicklungen sind wegen der Transparenz weniger wahrscheinlich. Die Jahresberichte des Sozialdienstes können hier heruntergeladen werden:
Mit den Jahresberichten leiste ich einen wichtigen Beitrag für eine lebendige direkte Demokratie. Und es funktioniert: Ohne die in den Jahresberichten offen gelegten Fakten wie z.B. die Entwicklung des Stellenetats und der Ablösequote wäre der Präsident der SVP nicht in der Lage gewesen, zu den Entwicklungen des Sozialdiensts in dieser Form Stellung zu nehmen. Ich würde es übrigens begrüssen, wenn auch die anderen Departemente der Gemeinde Urtenen-Schönbühl über ihre Tätigkeiten in solcher oder einer ähnlichen Form Rechenschaft ablegen würden.
Insofern freue mich grundsätzlich darüber, dass sich der Präsident der SVP zur Entwicklung des Sozialdiensts äussert – dadurch wird ein politischer Diskurs möglich. Ich danke Fritz Bernhard insbesondere dafür, dass er wertschätzende Worte für die Professionalisierung des Sozialdienstes findet, die ich zusammen mit den Mitarbeitenden des Sozialdiensts und mit wohlwollender Unterstützung der Sozialkommission und des Gemeinderates eingeleitet habe.
Stellungnahme zu den einzelnen Aussagen
Nachfolgend nehme ich zu den kritischen Äusserungen des Präsidenten Stellung, und zwar Aussage um Aussage.
«Die Verdoppelung des Stellenetats sehen wir jedoch eher kritisch, da der spürbare positive Effekt auf die Ablösungsquote ausgeblieben ist.»
Diese Aussage ist falsch. Der Ausbau hatte einen messbaren positiven Effekt auf die Ablösequote und führte zu einer wesentlichen Reduktion der Sozialhilfeausgaben. Zutreffend an der Aussage ist nur, dass sich der Stellenetats des Sozialdienstes zwischen 2016 und 2023 verdoppelt hat (vgl. Tabelle 1 auf Seite 10 des Jahresberichts 2023).
Warum habe ich den Stellenetat der Sozialarbeiter/innen ausgebaut?
Nach meinem Amtsanritt stellte ich fest, dass der Sozialdienst stark überlastet ist und die ihm aufgetragenen Aufgaben deshalb nicht in der gesetzlich vorgesehenen Qualität und Wirksamkeit wahrnehmen konnte. Die Sozialhilfequote in Urtenen-Schönbühl beurteilte ich als zu hoch. Die Überlastung war derart ausgeprägt, dass ich sogar befürchtete, dass der Sozialdienst zusammenbrechen könnte. In einem solchen Fall würde der Kanton Bern den Vollzug übernehmen und die dafür anfallenden Kosten der Gemeinde in Rechnung Stellung.
Den Stellenetat habe ich Wesentlichen aus zwei Gründen ausgebaut:
- Gesetzesmässigkeitsprinzip: Ich hatte eigentlich gar keine andere Wahl, weil ich gesetzlich zum Ausbau verpflichtet war. Denn das kantonale Gesetz gibt den Stellenetat der Sozialdienste implizit vor: Für die Deckung ihrer Kosten erhalten die Sozialdienste vom Kanton sogenannte Fallpauschalen. Diese Fallpauschalen dürfen von Gesetzes wegen nicht zweckentfremdet werden, d.h. sie müssen zur Deckung des Aufwands eingesetzt werden, der aufgrund der Wahrnehmung der gesetzlichen Aufgaben entsteht. Diesbezüglich bemerke ich, dass der Sozialdienst vor meiner Amtszeit vom Kanton abgemahnt wurde, weil der Kanton im Rahmen seiner Aufsicht feststellte, dass der Stellenetat des Sozialdienstes zu tief war. Hätte ich den Stellenetat nicht ausgebaut, wären wir vom Kanton sanktioniert worden. Meine finanzielle Analyse der Situation hatte zudem ergeben, dass wir den beantragten Ausbau des Stellenetats vollumfänglich über die Fallpauschalen finanzieren können (vgl. Abbildung 8 auf Seite 14 im Jahresbericht 2023), die Gemeinde Urtenen-Schönbühl also keine zusätzliche Mittel einschiessen muss. Mit dem Ausbau des Stellenetats stellte ich somit die Einhaltung des Gesetzesmässigkeitsprinzips sicher.
- Fallbelastung und Wirksamkeit: Die Fallbelastung der Sozialarbeitenden war bei meinem Amtsantritt viel zu hoch. Wenn die Fallbelastung der Sozialarbeitenden zu hoch ist, können sie die Dossiers nur verwalten und nicht aktiv bewirtschaften, was sich u.a. erhöhend auf die Sozialhilfeausgaben auswirkt. Abbildung 2 auf Seite 12 im Jahresbericht 2023 zeigt, dass ich mit dem Ausbau des Stellenetats für Sozialarbeitende die Fallbelastung im Bereich der wirtschaftlichen Sozialhilfe von absurden 130 Fällen pro Sozialarbeiter/in auf vernünftige 80 Fälle pro Sozialarbeiter/in reduziert habe.
Diese Reduktion der Fallbelastung hatte – entgegen den Ausführungen des Präsidenten des SVP – einen klar positiven Impact, und zwar nicht nur auf die Ablösequote.
Die Ablösequote im Jahr 2021 war phänomenal, sie betrug 23% und war damit 4 Prozentpunkte höher als der Kantonsdurchschnitt. Im Jahr 2022 entsprach sie mit 21% exakt dem Kantonsdurchschnitt. Tatsache ist, dass die Ablösequote in den Jahren 2021 und 2022 damit 22.0% betrug und deutlich höher war als in den Vorjahren (20.5% in den Jahren 2015-2020). Beim Kanton gab es in den Jahren 2021 und 2022 keinen wesentlichen Anstieg der Ablösequote im Vergleich zu den Jahren 2015 bis 2020. Für das Jahr 2023 kennen wir die Ablösequote noch nicht, aber die Sozialhilfequote sank im Jahr 2023 um beachtliche 0.3 Prozentpunkte von 4.9 Prozent auf 4.6 Prozent, was indiziert, dass die Ablösequote auch im Jahr 2023 sehr gut ausfallen könnte (im Kanton Bern sank die Sozialhilfequote im Jahr 2023 übrigens nur um 0.1 Prozentpunkte).
Ich halte also fest: Wir haben die Ablösequote mit dem Ausbau des Stellenetats und der Reduktion der Fallbelastung der Sozialarbeitenden von 20.5% auf 22.0% erhöht. Das mag wenig erscheinen, hat jedoch einen enormen Impact auf die Zahl der Sozialhilfebeziehenden und damit auf die Sozialhilfeausgaben, vgl. diese grobe Break-Even-Analyse, langfristig werden Millionen gespart.
Die Ablösequote ist dabei nur ein Indikator, die Ablösung von der Sozialhilfe ist nicht die einzige Aufgabe, welche der Sozialdienst gemäss dem Sozialhilfegesetz hat. Die Daten indizieren klar, dass durch den Stellenausbau auch jenseits von Ablösungen Kosteneinsparungen erzielt werden konnten. Der Stellenausbau hat u.a. eine Intensivierung der Bemühungen im Bereich der Einforderung subsidiärer Leistungen (z.B. durch Einforderung einer Erhöhung des Arbeitspensum bei einer Person, die nicht abgelöst werden kann) ermöglicht. Auch hier haben wir messbare, für die Steuerzahlenden wesentliche Erfolge erzielt: Im Jahr 2022 steigerten wir die Ertragsquote auf phänomenale 46%, von 33.6% im Jahr 2020. Dadurch sanken die Nettokosten pro unterstützter Person von 10’079 Franken im Jahr 2020 auf 7’480 Franken im Jahr 2022. Davon schreibt der Präsident der SVP leider nichts.
Ich muss hier etwas ergänzen, was angesichts des vorherrschenden politischen Diskurses um Kostensenkungen in der Sozialhilfe gerne vergessen geht: Das Ziel des Sozialhilfegesetzes (SHG) ist nicht die Minimierung der Sozialhilfeausgaben. Gemäss Art. 1 verfolgt das Sozialhilfegesetz folgendes Ziel:
«Die Sozialhilfe nach diesem Gesetz sichert die gemeinsame Wohlfahrt der Bevölkerung und ermöglicht jeder Person die Führung eines menschenwürdigen und eigenverantwortlichen Lebens.»
Nicht nur der Nutzen der Steuerzahlenden spielt eine Rolle, sondern auch der Nutzen der Sozialhilfebeziehenden. Die Sozialhilfebeziehenden haben gemäss dem Sozialhilfegesetz einen Rechtsanspruch auf eine qualitativ hochwertige Beratung und Betreuung, die ihnen neue Chancen und Perspektiven eröffnen. Als zuständiger Gemeinderat bin ich nicht nur moralisch, sondern auch gesetzlich verpflichtet, sicherzustellen, dass die Sozialhilfebeziehenden diesen Rechtsanspruch einlösen können. Es gilt die Herrschaft des Gesetzes («rule of law»).
«Auch wenn die erhöhten Personalkosten mehrheitlich durch den Lastenausgleich gedeckt werden, wäre der Kollaps vorprogrammiert, wenn jede Gemeinde im Kanton Bern die Ressourcen in diesem Ausmass erhöhen würde».
Der Stellenetat des Sozialdienst musste aus zwei Gründen seit 2016 verdoppelt werden:
- Erstens war der Sozialdienst zwischen 2016 und 2020 wie ausgeführt deutlich unterressourciert. Eine Verdoppelung seit 2016 war nur deswegen nötig. Den Sozialdienst zuerst personell ausbluten und sich dann darüber beschweren, dass dem Patienten eine Bluttransfusion verpasst werden muss. In solchen Argumentationsfiguren kann ich beim besten Willen keinen Sinn erkennen.
- Zweitens hat die Soziallast und damit der Workload des Sozialdiensts zwischen 2016 und 2023 deutlich zugenommen. Es ist unsinnig, den Stellenetat eines Sozialdiensts unabhängig von der Soziallast und dem Workload zu beurteilen. Im Bereich des Erwachsenen- und Kindesschutzes hat sich die Zahl der Dossiers zwischen 2016 und 2024 mehr oder weniger verdoppelt. Dies ist im Wesentlichen auf eine verfehlte Siedlungspolitik zurückzuführen, für welche die SVP übrigens eine wesentliche Mitverantwortung trägt. Diese hat nicht nur zu einer Erosion der Steuerertragskraft geführt, sondern auch zu einer fortlaufenden Zunahme der Soziallast.
Andere Gemeinden mussten den Stellenetat ihres Sozialdienstes seit 2016 nicht verdoppeln, weil sie in der Vergangenheit dafür gesorgt haben, dass ihre Sozialdienste angemessen mit Ressourcen ausgestattet sind und weil sie eine nachhaltige Raumplanungspolitik betrieben haben. Zudem ist die Ressourcierung der Sozialdienste des Kantons Bern über das System der Fallpauschalen gesichert. Die Rede von einem «vorprogrammierten Kollaps» ist irreführender Alarmismus.
«Da Alleinerziehende und Kinder einen beträchtlichen Teil der Sozialhilfebeziehenden ausmachen, hat eine engmaschigere Betreuung durch den Sozialdienst kaum positive Effekte. Diese ergeben sich in der Regel automatisch erst mit dem Eintritt der Jugendlichen in das Erwerbsleben und der damit verbundenen zeitlichen Entlastung der Alleinerziehenden.»
Diese Aussage ist falsch. Wie bereits ausgeführt konnten wir durch den Ausbau des Stellenetats im Bereich der wirtschaftlichen Sozialhilfe wesentliche Einsparungen realisieren, einen Teil davon nachweislich auf Dossiers von Alleinerziehenden.
Es ist aus verschiedenen Gründen nicht zutreffend, dass Alleinerziehende keine engmaschige Betreuung durch den Sozialdienst benötigen. Als ich mein Amt antrat, hatten wir das Problem, dass wir Alleinerziehende hatten, die nicht im gesetzlich vorgesehenen Ausmass im ersten Arbeitsmarkt tätig waren. Dies war darauf zurückzuführen, dass der Sozialdienst über Jahre hinweg unterressouciert war und die Dossiers deshalb notgedrungen zum Teil nur verwaltete. Besonders wichtig ist die engmaschige Begleitung bei Alleinerziehenden mit kleinen Kindern, die zum Teil unzureichend ausgebildet sind und/oder unzureichende Sprachkenntnisse haben. Diese müssen bis zum Zeitpunkt, zu welchem Sie gemäss dem Gesetz arbeiten müssen, für den ersten Arbeitsmarkt fit gemacht werden (Sprache, Ausbildung etc.). Dieser Zeitpunkt ist übrigens nicht wie behauptet der Eintritt der Jugendlichen ins Erwerbsleben. Das vom Gesetz vorgesehen Arbeitspensum hängt vom Alter und der Zahl der Kinder ab. Fast alle Alleinerziehenden müssen bereits arbeiten, ehe ihre Kinder ins Erwerbsleben eintreten.
«Ähnlich sieht es im Bereich der Schulsozialarbeit aus [..].»
Diese Aussage ist nachweislich falsch. Bei der Schulsozialarbeit gab es seit 2016 kein relevantes Wachstum des Stellenetats. Der Stellenetat der Schulsozialarbeit umfasste seit 2015 1.2 vollzeitäquivalente Stellen. Eine Erhöhung auf 1.4 vollzeitäquivalente Stellen (+17%) erfolgte vor meiner Amtszeit per 2020. Dieser Ausbau war meines Erachtens gerechtfertigt, weil die Zahl der Schülerinnen und Schüler der Schule Grauholz von 783 im Schuljahr 2016/17 auf 942 im Schuljahr 2020/21 stieg (+20%). Gleichzeitig stieg auch die die Zahl der Lehrpersonen, die bei sozialen Problemen in Klassen und von Schüler/innen ebenfalls von den Schulsozialarbeitenden beraten werden, von 104 im Schuljahr 2017/18 auf 124 im Schuljahr 2020/21 (+19%). Unter Berücksichtigung der Entwicklung der Zahl der SuS und Lehrpersonen hat bei der Schulsozialarbeit seit 2015 also tatsächlich kein Ausbau, sondern ein geringfügiger Abbau der Ressourcenausstattung stattgefunden.
Zu bemerken ist, dass ich im Rahmen der Aufgabenüberprüfung 2021 den Stellenetat der Schulsozialarbeit überprüft habe. Dabei habe ich den Stellenetat der Schulsozialarbeit mit jenem in anderen Gemeinden bzw. Schulen verglichen (Benchmark-Methode). Der Benchmark zeigte, dass die Schulsozialarbeit nicht überressourciert ist.
«Unklar ist dabei, wie weit der Auftrag der Schulsozialarbeit gehen soll.»
Gar nichts ist unklar. Der Auftrag der Schulsozialarbeit ist in einem öffentlich einsehbaren Konzept im Detail definiert.
«Einzel- aber auch Gruppengespräche mit Minderjährigen während der Unterrichtszeit, in Abwesenheit und teilweise ohne Wissen der der Eltern, sehen wir sehr kritisch.»
Ad «in Abwesenheit und teilweise ohne Wissen der Eltern»: Beratungen von Schülerinnen und Schüler (SuS) ohne Wissen der Eltern sind absolute Ausnahmefälle und erfolgen nur auf ausdrücklichen Wünsch der betroffenen SuS. Das Ziel unserer Schulsozialarbeitenden ist eine Zusammenarbeit mit dem ganzen System des Kindes, was eine Information der Eltern voraussetzt. Welche Informationen weitergeben werden, wird immer individuell mit den betroffenen SuS abgesprochen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Kinder mit der von der Schweiz ratifizierten UNO-Kinderrechtskonvention ein Recht darauf haben, von einer neutralen Person angehört zu werden. Zu bemerken ist, dass eine Beratung ohne Wissen der Eltern sinnvoll bzw. sogar angezeigt sein kann, z.B. im Fall von sexuellem Missbrauch in der Familie.
Ad «während der Unterrichtszeit»: In Absprache mit den Lehrpersonen und den Eltern wird darauf geachtet, dass die SuS die Schulsozialarbeit während Unterrichtseinheiten besuchen, welche nicht die Hauptfächer betreffen. Wenn es die SuS oder die Eltern wünschen, finden die Termin ausserhalb der Unterrichtszeiten statt. Warum finden die Beratungen zum Teil während den Unterrichtszeiten statt? Weil es absolut zentral ist, dass die Schulsozialarbeitenden vor Ort sind, wenn auch die Schülerinnen und Schüler vor Ort sind, also während dem Schulbetrieb. Nur so kann ein niederschwelliger Zugang der Schülerinnen und Schüler zur den Schulsozialarbeitenden gewährleistet werden. Jedes Kind hat jederzeit die Möglichkeit, ins Büro der Schulsozialarbeitenden zu gehen. Die Bürotüre der Schulsozialarbeitenden steht übrigens immer offen, wenn die Sozialarbeitenden nicht gerade in einem Gespräch, in einer Klasse oder in einem anderen Schulhaus unterwegs sind. Bei belastenden Situationen, z.B. bei Fällen von Mobbing, muss sofort gehandelt werden, damit sich keine unkontrollierten Dynamiken entfalten, da kann nicht das Ende der Unterrichtszeit abgewartet werden. Auch wenn ein Kind weinend ins Büro der Schulsozialarbeitenden kommt, kann das Kind offensichtlich nicht auf das Ende der Unterrichtszeit vertröstet werden.
«Bei Fehlerverhalten der Kinder müssen die Eltern zur Verantwortung gezogen werden. Sind die Eltern mit der Erziehung überfordert, kann die KESB eingeschaltet werden.»
In Zusammenhang mit den vorhergehenden Ausführungen interpretiere ich diese Ausführungen des Präsidenten der SVP zur Schulsozialarbeit dahingehend, dass er der Ansicht ist, dass die Schulsozialarbeit liquidiert werden sollte, weil sie die Eigenverantwortung der Eltern unterminiere. Um überforderte Eltern solle sich die KESB kümmern.
Es wird suggeriert, dass die Verfügbarkeit der Schulsozialarbeit zu einer Erosion der Eigenverantwortung der Eltern führe, im Sinne von: «Es gibt ja die Schulsozialarbeit, deshalb müssen wir uns nicht mehr um die eigenen Kinder kümmern.» Dabei handelt es sich um eine abenteuerliche, geradezu groteske These. Denn unsere Schulsozialarbeitenden unterstützen die Eltern mit ihren Beratungen darin, Ihre Verantwortung besser wahrzunehmen.
Die Schulsozialarbeit ist ein präventives Angebot im Sinne des strategischen Leitsatzes der Sozialkommission: «Prävention vor Intervention». Ein Ziel der Schulsozialarbeit ist unter anderem, frühzeitig, wenn die Probleme noch nicht schwerwiegend sind, niederschwellig zu intervenieren, u.a. damit eine Intervention der KESB nicht erforderlich wird. Sobald die KESB involviert ist, wird eine beachtliche Maschinerie in Gang gesetzt: Da sind Lehrpersonen, Sozialarbeitende unseres Sozialdienstes, Sozialarbeitende und Juristen der KESB, Kinderanwälte, Psychologen, Ärzte etc. involviert. Werden Massnahmen (z.B. Familienbegleitung, Platzierung in einem Heim etc.) implementiert, können sehr hohe Kosten resultieren. Wenn die Schulsozialarbeit durch frühzeitige Intervention einen KESB-Fall verhindern kann, werden massiv Steuergelder eingespart!
Zudem unterschätzt der Präsident der SVP ganz offensichtlich die soziale Belastung unserer Schule. Der Schulsozialindex von Urtenen-Schönbühl beträgt 145, nur gerade 21 von 302 Berner Gemeinden weisen eine noch stärkere soziale Belastung der Schule auf. Die Schulsozialarbeit führt zu einer Entlastung des Schulsystems, die sich auch positiv auf die Kinder und deren Lernerfolg auswirkt, welche nicht direkt auf die Unterstützung der Schulsozialarbeitenden angewiesen sind.
Zu berücksichtigen ist auch, dass die Schulsozialarbeit für den Sozialdienst eine entscheidende Bedeutung hat: Die Schulsozialarbeit ist unser niederschwelliges Eingangstor für präventive Beratung im Bereich der wirtschaftlichen Sozialhilfe, der Alimentenhilfe sowie des Kindes- und Erwachsenenschutzes. Der Sozialdienst ist mit einem Stigma behaftet: viele Personen, die auf präventive Beratung angewiesen wären, melden sich deshalb nicht beim Sozialdienst. Die Hemmschwelle, die Schulsozialarbeit zu kontaktieren, ist viel tiefer. Zudem ist es die Schule, über welche die Gemeinde letztendlich den Zugang zu den meisten Einwohnerinnen und Einwohnern hat. Dieser Zugang ist für die präventive Beratung unglaublich wertvoll.
Vor diesem Hintergrund bin ich der Ansicht, dass die knapp CHF 150’000, die wir im Jahr 2023 in die Schulsozialarbeit investiert haben, gut investiert sind.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch darauf hinweisen, dass das wohl wichtigste Ziel der Schulsozialarbeit die Verbesserung der Chancengleichheit ist. Mir ist die Chancengleichheit und damit die Förderung sozial benachteiligter Kinder wichtig.
Als Sozialliberaler werde ich nie zustimmen, auf der einen Seite die Schulsozialarbeit herunterzufahren und auf der anderen Seite irgendwelche unwirksamen Subventionen für erwachsene, eigenverantwortliche Bürger/innen – offenbar sogar für den Besuch von Strandbädern – hochzufahren.
Abschliessend nutze ich die Gelegenheit, den Mitarbeitenden des Sozialdienstes für ihre engagierte und ausgezeichnete Arbeit seit dem 1. Januar 2021 zu danken. Sie haben hervorragende Leistungen erbracht. Herzlichen Dank!